Von Schein und Sein
 

Odins ironische Bildwelten

Kennen wir das nicht alle? Da betreten Präsidenten wohlbeschirmt öffentliche Plätze und das Publikum steht staunend hinter Gittern; Stars und Sternchen tippeln auf bunten Läufern in Filmpaläste, umjubelt, be-wundert und beneidet von ausgesperrten Fanscharen; Fußballcracks betreten Rasenareale, begleitet von „we are the champions“- Gesängen ihrer in Käfigen; Vorstandsvorsitzende thronen auf Bühnen, fernab ihrer mit Würstchen frohgestimmten Kleinaktionäre; Menschen wie du und ich begeben sich freiwillig in Quarantäne, um ihr auf Kabeldistanz gehaltenes Medienpublikum zu langweilen...... 

Hans Magnus Enzensberger hat das zeitlose Phänomen solcher Vorgänge in einem frühen Essay (Scherbenwelt, Die Anatomie einer Wochenschau, 1962) beschrieben:
„Daß er nur der Zaungast sein darf, bestärkt den Zuschauer in dem Glauben, hinter dem Zaun
läge das Paradies: Daß die Gezeigten selbst Betrogene sind, der Prominente sein eigener Komparse, die Kaiserin ihr eigenes Mannequin – die makabre Ironie dieses parasitären Blitzlichtbetriebes durchschaut der Zuschauer nicht. Weit entfernt, an der kaiserlichen Würde zu zweifeln, die sich der Kamera preisgibt, bekleidet er mit ihr noch das Mannequin, das sie imitiert. Der Darsteller, der dem Zaungast ein gesellschaftliches Paradies vorspielt, ist von ihm abhängig, genau wie der Dompteur vom Affen; das Verhältnis beider ist dialektisch verschränkt; die Dressur des Zaungastes wirkt auf den Darsteller zurück; der eine ist jeweils Affe und Dompteur des anderen, beides zu gleicher Zeit“. 

Odin setzt die spitzfindige Analyse Enzenbergers mit bildkünstlerischen Mitteln quasi fort. Die Diskrepanz zwischen Sein und Schein, Realität und Virtualität, zwischen Authentizität und Inszenierung, Anfang und Ende, die zu entdecken unsere multimedial getrübten Augen oft kaum noch imstande, verführt ihn zu immer neuen herrlich-ironischen Installationen. Ob das „Königspaar nach der Krönung“ die Vorstadt besucht und den Schein eines Glanzes auf die grauen Mäuse fallen lässt, ob beim Picnic lautgebende Thermoskannen in Vogelkäfigen sich als Kanarienvögel gerieren; ob Rosen in zu Vasen stilisierten Klorollen blühen oder Milch im kleinen blauen Trichter sich zum „Milchsee“ erklärt – immer spießt Odin das Allzumenschliche seiner Zeit auf.

Wer wenig hat, macht anderen weis, es sei viel; positiv aus der Wäsche schauen, auch wenn man die Nase voll hat; Nichtskönnen durch aufgeblasenes Gehabe übertünchen; Körper, Seele oder Geist designen lassen, wenn die Eigenverwertbarkeit nachlässt; wozu inhaltliche Schwere, wenn Fun gefragt ist: das So-tun-als-ob, der schöne Schein und sein kleiner Selbstbetrug, die allgegenwärtige Inszenierung – sie sind Odins Knetmasse, aus der er seinen Betrachtern ebenso faszienierende wie hintersinnige Bilderwelten formt.

Wolfram Odin in St. Petri zu Lübeck; selbst Thomas Mann hätte daran seine Feder wetzen und für die Buddenbrooks dieser Welt schöpfen können.

Björn Engholm
 
 

 

zurück zur Galerie

zurück zur Textseite