Der zerbrochene Palast

Den gesellschaftlichen Aspekt der audio-visuellen Installationen von Odin, den er in der letzten Zeit immer öfter in seinen Kunstwerken hervorhebt, ist transparent und selbstdarstellend. Er verwendetMaterialien von seinem Wohnort. Der Künstler wohnt in Berlin, an einem Wohnort des Zusammenwachsens von zwei ehemals feindseligen Zivilisationen.Als Ausdrucksmittel benutzt er Gegenstände, die von der zerstörten Berliner Mauer stammen.

Ein hervorragendes Beispiel ähnlich gesellschaftlicher Metaphoren ist die Installation „Brot für die Welt", für die einige Koffer verwendet worden sind.Diese sind wie ein Gestell ohnegleichen als „Antipanzer-Igel“ aufgestellt worden. Die nach ihrer Bedeutung und nach der Qualität der Gegenstände wurden als Gegensätze gefertigt, die physisch wie ein Organismus von runden Brotleibern erscheinen und in denen stählerne Rasierklingen stecken – als „Wasser des Lebens“ und als „Wasser desTodes“.

Nur alleine die Idee des zentralen Objektes „Der zerbrochene Palast“ illustriert die Dispersität des Bewusstseins des Menschen, der auf den Überresten des Imperiums lebt. Und er wird sie am Ende seiner Zeit einst wie „eine herrliche Epoche“ auffassen, die nichts anderes als eine Mirage und viele Zeitungsausschnitte hinterlassen wird.

Der zerbrochene Palast – das ist unser Schloss, das auf Sand und aus Sand, auf einer Floßinsel gebaut wurde und durch das Bewusstsein begrenzt ist, welches durch die Genetik der politischen Komplexe belastet ist. Das ist ein Koloss auf Stahlbeinen und er steht wie ein Babylonischer Turm. In dieser gesellschaftlichen Botschaft ist nicht eine einzige Kompliziertheit und kein gehobenes Gedankengut enthalten. Darüber kann jetzt jeder diskutieren. Das ist am Ende schon nicht mehr interessant.

Die Feinheit und die Dramatik entstehen auf einem anderen Niveau – auf der Ebene der außergewöhnlich entwickelten rezeptionellen und taktischen Vorschläge von Odin. Diese Vorschläge spielen dieses nicht schwierige gesellschaftliche Motiv bis zu einer gewissen organischen Sinfonie aus, die von einem gewaltigen Raum in der Manege aufgenommen wird. Besonders auf dem Niveau der Somatologie und der Physiologie entwickelt sich auch der neue Gedanke seiner Darbietungen.

In der Installation „Die zwölf Geschworenentauschen das Bild und der Mensch ihre Plätze – nicht der Mensch schaut auf das Kunstwerk, sondern das Kunstwerk erscheint als der Betrachter und als Gericht des Lebens des Menschens und antwortet auf das Geräusch seiner Schritte durch die aufgebauten Mikrofone. Der Mensch jagt sich durch den Bau seiner eigenen Lebensspuren – treibt sich durch die geknüllten und zerstreuten Seiten von Telefonbüchern. Das Geräusch des Papiers, welches noch durch seine Dynamik verstärkt wird, verursacht ein Zittern der aufgestellten Leinwände. Diese verwandeln sich in Segeltücher und sie reißen sich los, sowie nur das Schiff den Anker lichtet.

Der tiefere Aspekt des alltäglichen Verständnisses besteht darin, dass das Bild männlich ist, welches zum Anfang abgegeben wird. Aber der Mensch als Aufnehmender ist weiblich und dann entwickelt es sich entgegengesetzt. Auf dem Bild erscheint ein Körper mit Augen und Ohren. Das Kunstwerk erscheint wie eine Verlängerung des eigenen Oberkörpers – von Frankenstein, versehen mit der Lebensenergie des Schöpfers. Die Apostel, die auf der Leinwand aufgetragen wurden, werden wieder lebendig und verwandeln sich in wasserbadende Menschen. Eigentlich entsteht das vollständige Bild erst durch den „Menschen“. 

Diese Installation ähnelt sich mit der benachbarten, wobei genau das gleiche Thema nur unter der Anwendung eines anderen Materials dargestellt wird.Die Bilder ziehen sich paarweise aus einem Kupferrohrrahmen in die Länge, sie stellen so etwas ähnliches wie Anpeiler oder Sputnikantennen dar. Anstelle von weichem Verpackungspapier sind auf dem Fußboden flache Glasscherben und Produktionsabfälle von metallischen Gegenständen ausgebreitet. Diese sind etwas hart, industriell und technogen, aber gleichzeitig sind sie mit Geldstücken assoziiert. Wenn in den Bildern der letzten Installation ein klar leuchtendes Blau vorherrscht, so wird hier die Farbscala bis zum Schwarz-Weiß-Bereich gestriffen. Das Kunstwerk adoptiert die Funktionen des Menschen, der in die Ausführung eingeschlossen ist.

In der Ecke hinter dem grauen mit einem metallischen Glanzeffekt versehenen Seidenvorhang, ähnlich aussehend wie ein „Eiserner Vorhang“, ist das Kunstwerk „Secret verborgen. Es sind die vereinbarten Zeichnungen, die das „know how“ der Kriegskonstruktionen decheffrieren.

Die Gegenstände von „Second hand“ sind Metaphoren der Wiederholung wie eine „zweite Haut“, so auch die Kleidungsstücke des Menschen. Sie wurden als Material für die nächste Installation verwendet. Diese stellt in sich ein Zitat aus einem evangelischen Text dar, der mit riesigen Buchstaben zusammengestellt wurde. Diese Buchstaben sind aus miteinander verbundenen Kleidungsstücken geschaffen worden. Das Pathos des Zitates ist ein „Wolfs-„ fell der Pseudo-Propheten, die Schafsfelle bevorzugen. So kann man diese Installation wie eine gewisse fashion-show der Modebekleidung von „Matfejew“ für professionelle Pseudo-Propheten betrachten.

Wolfram Odin ist in erster Linie kein „Staatsbürger“, wie es sich anfänglich zeigte, sondern er ist ein reiner Künstler und Ästhetiker, dessen taktische Empfindungen sich nur hinter der Maske der Gesellschaftsprogramme verbergen. Er geht nicht vom „Sinn“ aus, der in seinem künstlerischen Material ausgedrückt wird, sondern umgekehrt, seine Ästhetik verwandelt sich in Äthetik. Seine Objekte und Installationen wurden mit rein physiologischen Parametern der rezeptorischen Wahrnehmung, wie es scheint, erarbeitet – sie sind ausgerichtet an sehr feinen (fast sterilen) ästhetischen Systemen der Farbe, der Oberfläche, der Tiefe und der Fakturen – die sich in erster Linie auch mit echten sinnesbildenden Elementen, unabhängig von den „Themen“, die von der Konjunktur unserer Zeit vorgegeben sind, darstellen.

Nadjeshda Woinowa

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