Wolfram Odin

Liebe geht uns über alles
 
 

„The medium is the message“ verkündete Medientheoretiker Marshall MacLuhan vor mehr als drei Jahrzehnten angesichts der steigenden Medialisierung von Kommunikation. Daß die Wahl des Kommunikationsmediums den Nutzer charakterisiert offenbaren die eng bedruckten Sparten der Kontaktanzeigen in Zeitungen: die Suche nach Liebe, als eine auf ein paar Eckdaten reduzierte Strategie, schnell, effektiv und anonym.

Wolfram ODINs Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kontaktanzeigen beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Vorgang des elektronischen Balzens. „If the medium is the message, the user is the content” führte MacLuhans Schüler Derrick de Kerkhove den Satz weiter. In diesem Sinn geht ODIN zwischen die Zeilen, um auf die Autoren der Anzeigen zu treffen. Auf großformatige Blumentapeten gedruckt, erzählen die von romantisch über salopp bis schroff gehaltenen Werbetexte in eigener Sache von der zugrundeliegenden Sehnsucht nach Zweisamkeitsidylle. Die Art des Blumenmusters charakterisiert hierbei nicht nur den Autor, sondern auch seine Vorstellung von der Art des Liebesnestes. Doch ist der Wunsch nach großer Liebe und lebenslanger Zweisamkeit in dieser kurzlebigen Zeit noch realisierbar?

ODINs Blumentapeten wirken antiquiert, in modernen Wohnungen bestimmen kahle Wände und Rauhfasertapeten die Realität. Der Lust auf Tapetenwechsel folgt nicht selten der Partnerwechsel, wie es ODIN in seinen Installationen thematisiert.
An einem schwarz angemalten Kleiderschrank, der in seine Einzelteile zerlegt ist, klebt die Annonce eines Mannes. Im Hintergrund hängen drei Frauenkleider, ebenfalls mit  Annoncen versehen. Symbolisieren sie die verflossenen Geliebten des Mannes, die ihrerseits wieder selbst auf der Suche sind? Ist serielle Monogamie die Lebensform unserer Zeit oder handelt es sich um ein aus egozentrischen Verwirklichungsbewustsein freigewähltes Singledasein, dass von gelegentlichen Liebesbeziehungen unterbrochen wird? 

ODINs fünf stumme Diener sind in Alltagskleider gehüllt und haben ein Handy zum Kopf, aus denen allen synchron das narzistische „Ich liebe mich“-Credo freiwilliger Singles ertönt.

MacLuhan hat noch eine weitere Theorie aufgestellt: Über die weltweite Vernetzung der Kommunikationsmedien schrumpft die Welt zu einem globalen Dorf zusammen. ODINs Kontaktanzeigen erzählen, wie fern wirkliche nähe ist, angesichts der künstlichen Nähe der Kommunikationmedien.

Geschrieben von Patricia Caspari
 

 

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