Befreiung vom starren Keilrahmen
 
 

Wolfram Odin läßt seine Bilder zur Musik vibrieren
 

Eine Leinwand ist eine Leinwand? Irrtum. Bei Wolfram Odin ist dieser zumeist übersehene Hintergrund der Malerei nicht, wie die Kunstgeschichte es lehrt, zu starrer, viereckiger Bedeutungslosigkeit verurteilt. Odin holt die Leinwand von der Wand, spannt sie auf rostige Eisengestelle, flexibel befestigt mit Gummibändern. Oder macht sie kreisrund, formiert drei davon zum "Triadisch-Dualen Ballett". Und er verwandelt sie zu Membranen; sichtbar werden sie in Schwingungen versetzt und sind so ein wichtiges Medium, um das Genreüberschreitende seiner Kunst zu transportieren.
"Die zwölf Geschworenen beim letzten Tanz, jeden Bezug zur Realität verlierend" nennt sich die Installation, die zwölf einen Meter schmale und zweieinhalb Meter hohe Leinwände im grün oxidierten Kupferrahmen umfaßt und den Mittelpunkt einer Ausstellung in der Galerie Deschler bildet. Wolfram Odin hat sie auch schon mal als Kreis arrangiert - diesmal aber bilden sie ein schmales, streng wirkendes Spalier. Sechs zu sechs stehen sie sich gegenüber, nur einen engen Gang freilassend. Den nach Überblick suchenden Schritt zurück kann der Besucher hier nicht machen - er ist mittendrin, wenn der Stoff, auf den Odins Bilder gemalt sind, plötzlich im Rhythmus der Musik zu pulsieren beginnt: Hinter jedem Objekt ist ein Meßgerät installiert, das bei einem bestimmten Frequenzgang die Leinwand in Vibrationen versetzt.
Ulrich Moritz, mit dem der Maler seit gut einem Jahr zusammenarbeitet, hat die Musik komponiert, in der sich tropfende Trommellaute mit sehnsuchtsvollem Zirpen zu archaisch-elektronischen Klangkulissen vermischen. Nach Grenzüberschreitung drängt es die beiden - danach, mehrere Sinne gleichzeitig anzusprechen. Mal ist es die Malerei, die die Musik inspiriert, mal ist es umgekehrt: "Über Monate beeinflussen sich künstlerische Ideen, Vorschläge, Richtungen, bis ein Gleichgewicht der Konzentrationen sich abzeichnet", erklären die Künstler dazu. Und aus dem Zusammenfügen von scheinbar Fremdem entsteht so die zeitgemäße Interpretation einer Idee, die seit den 60er Jahren von Wolf Vostell, Nam June Paik oder auch Joseph Beuys propagiert wurde, aber schon im 19. Jahrhundert populär war: die Idee von der gegenseitigen Befruchtung der Künste.
Weil ihm aber trotzdem die Zweidimensionalität der Malerei als einengende Konvention erscheint, bemalt Wolfram Odin seine vom Keilrahmen befreiten Leinwände nicht, sondern füllt sie zunächst mit kontrastreichen Farben wie Blau oder Rot. Anschließend legt er mit einem Hochdruck-Wasserstrahl Linien frei. In den Objekten - die poetische Titel haben wie "Wüstennomaden tragen ihre Schatten immer bei sich" oder "Wenn die Steine singen und das Wasser lacht, erwachen die Jungfrauen" - findet sich so die Einfachheit von Höhlenzeichnungen wieder, die mit wenigen Strichen eine ganze Geschichte erzählen können.

Carmen Böker

"Feuchtigkeit und Wärme" bis 23.11. in der Galerie Deschler (Auguststraße 61, Di-Fr 14-19 Uhr Sa 13-15 Uhr) zu sehen. Ein Katalog zu Odins Werk ist für 40 Mark erhältlich. +++ 
 

 

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